Presse


ausführlichere Texte:
4 Suiten zu Viktor (Patrick Müller, Text zu CD)
Gegen die Systeme ankomponieren (Thomas Meyer, Tages-Anzeiger)
Streif(f)lichter (Rico Gubler, Positionen Nr. 44)
"...weisses Blatt Papier..." (Patrick Müller, Interview)
das erlösende Moment am Doppelstrich (Dissonanzen Nr. 78)

NEUE ZÜRCHER KLÄNGE (4) 

Gegen die Systeme ankomponieren

Rico Gublers Bandbreite ist gross: Als Komponist und Saxofonist, als Improvisator und Konzertveranstalter sucht er eigene Wege. 

Von Thomas Meyer 

"Ich will irgendwo hinkommen, und niemand weiss, wieso, und möchte Zustände herbeiführen, und niemand klopft mir auf die Schulter und sagt: Gut  gemacht!", antwortete Rico Gubler einmal in einem Radiointerview, und er wiederholt das in unserem Gespräch. Unsere gut gewohnte Dialektik sei ihm wie nichts anderes verhasst. Er wolle sie zum Entgleisen bringen, er wolle Überraschungen komponieren, alogisch, Konflikte auslösen, er suche gleichsam die Schwarzen Löcher der Musik. Dabei gehe es ihm nicht einfach darum, das Gegenteil von etwas zu machen, sondern eine neue Sprache zu  finden, die kein System verkörpere. 
Die Neue Musik sei so unglaublich sicher geworden, sagt der 27 Jahre alte Musiker, der bei Balz Trümpy in Basel und bei Salvatore Sciarrino in Florenz  Komposition studiert hat. So geht er auf eine Suche nach der eigenen Sprache, mithin nach sich selber, auf die gewiss auch mühsame Suche einesKomponisten, "der vielleicht nicht so ganz weiss, wies weitergeht und wo  ansetzen, der aber vielleicht etwas riecht".  Das Unbestimmte in Gublers Worten findet sich tatsächlich auch in seiner Musik. Seine Stücke machen spürbar, dass er gern mit Widersprüchen arbeitet und die Hörerwartungen umspielt. Sein Saxofonquartett "Klarste  Durchsicht . . . vollkommenste Unbeweglichkeit" von 1995 enthält unter einer  prägnanten Instrumentalschicht auch einzelne gesprochene Worte, die zwar  als Ganzes kaum Sinn ergeben, aber doch kurz Bedeutungen aufblitzen lassen. Zu Beginn seines Klavierquartetts "Weh mir, wo nehm' ich, wenn es Winter ist, die Blumen . . ." bremst er erst einmal die gesamte Energie ab: Er  fährt die Musik herunter, bevor sie richtig begonnen hat. Trotz dieser Widerborstigkeiten wirken die äusseren Konturen dieser Stücke jedoch ganz klar. Das Ungewohnte wird nicht versteckt, sondern offen ausgetragen. 

Wider das Todernste  Rico Gubler gehört zu einer jüngeren Komponistengeneration, die sich nicht mit dem Erreichten zufrieden gibt und fast trotzig das Eigene sucht. Es ist ihm ernst mit seinen Anliegen. Die Textvorlagen, die fast hinter all seinen Stücken stecken, Hölderlin, Robert Walser, Thomas Bernhard etwa, deuten es an. Dabei "vertont" er die Texte nicht, das sei für ihn unmöglich, eher umschreibt  er die Texte in seiner Musik neu. Ein Text sei etwas in sich Abgeschlossenes, sagt er, der selber Texte schreibt, da müsse er nicht noch Klänge draufsetzen. Er verweigert sich dem Herkömmlichen, und doch hat sein Musikmachen nichts Verbiestertes an sich. Im Gegenteil: Rico Gubler opponiert gegen das Todernste in der zeitgenössischen Musik. Zu "Network" für Flöte, Bratsche und Harfe merkt er an, er wolle damit den Musikern auch wieder Neugier und Freude an ihrem Instrument zurückgeben. Rico Gubler - das wird hier spürbar - ist nicht nur Komponist. Seine Tätigkeit ist viel umfassender. Er improvisiert auch und tritt als Interpret auf. 

Die verschiedenen Erfahrungsbereiche beeinflussen einander, auch wenn Gubler sie strikt zu trennen versucht. Egal, was er als Komponist über ein Stück denkt - auf dem Podium setzt er möglichst adäquat um, was die Kollegen geschaffen haben. In verschiedenen Ensembles - demnächst zum Beispiel wieder im Trio Lepic mit der Flötistin Vera Fischer und der Oboistin Franziska Müller - setzt er sich vor allem für die Musik des 20. Jahrhunderts ein. Von da ausgehend, sucht er auch seinen Weg als Konzertveranstalter. In Wädenswil (im Dorf nebenan, in Richterswil, kam er zur Welt) hat er eine Konzertreihe mitbegründet: "Musica moderna" im Theater Ticino fällt durch eigenwillige Programme auf, die auch Eventhaftes und Lichtregie einschliessen. Auf unspektakuläre Weise soll ein kleines Spektakel entstehen, sodass dem Hörer etwas Lebendiges, Unerwartetes, Präsentes entgegenspringt: eine Musik, die aufhorchen lässt.

April 99 - Tages-Anzeiger